Auf der Suche nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft stößt Jonas Höschl auf Vereinzelung und Absonderung. In seinen druckgraphischen Werken und Videoarbeiten hinterfragt er das identitätsstiftende Potential politischer Systeme und gesellschaftlicher Konstrukte. Anhand von regionalen Politskandalen und europäischen Konflikten zeigt er die Entfremdung von einenden Idealen auf. Aus der Ohnmacht des Einzelnen und der Macht der Vielen entsteht ein Spannungsfeld, worauf sich auch mediale Inszenierung stützt. Jonas Höschl eignet sich die zum Teil historischen Bildsprachen unterschiedlich ausgerichteter Ideologien an, um die propagandistische Manipulation offenzulegen. Durch Rekontextualisierung verweist er auf die Referentialität von Zeitdokumenten. Carina Essl (LEONARDO – Zentrum für Kreativität und Innovation)
Texte über Jonas
Jonas Höschls Symbolismus
Jonas Höschl hat Fotografie studiert, und auch wenn er sich längst als multimedial versierter Konzeptkünstler etabliert hat, ist er, was sein Ethos anbelangt, Fotograf geblieben. Denn in seinen Projekten geht es ihm darum, Realitäten sachlich-nüchtern zu dokumentieren: Ereignisse aus Gegenwart oder Geschichte zu beglaubigen. Allerdings stellt er gerade das ins Zentrum, was Fotografie für sich allein nicht sichtbar machen kann: Ideologien und Formen von Extremismus. Überzeugend kann das nur sein, weil Jonas Höschl selbst kein Ideologe ist. Vielmehr widmet er sich der RAF genauso wie dem Rechtsextremismus, blickt ebenso scharf auf Leute, die Verschwörungstheorien verbreiten, wie auf andere, die einem linken oder einem rechten Antisemitismus anhängen.
Seine ideologiekritischen Arbeiten entwickelt Höschl unter anderem in Installationen, Videos und Büchern. Sie sind so angelegt, dass man das Gezeigte nicht einfach konsumieren kann. Manchmal erkennt man auf den ersten Blick vielleicht nicht einmal, welches Thema verhandelt wird. Es muss also selbst aktiv werden, wer verstehen will, was der Künstler jeweils aufbereitet, um dann zu erkennen, dass fast immer mehrere Motive miteinander verknüpft sind. Damit bietet Jonas Höschl die wohl anspruchsvollste Version partizipativer Kunst – hat man doch an jeder Stelle zu entscheiden, ob man einem weiteren Motiv zu folgen bereit ist, und wie man jene Verknüpfungen deuten, welche eigenen Spekulationen man ins Spiel bringen will.
Da Jonas Höschl große Freiräume für die Rezeption seiner Arbeiten lässt, tragen sie auch keine klar definierten Botschaften vor sich her. Anders als bei aktivistischer Kunst soll nicht zu einem bestimmten Denken oder Verhalten aufgefordert werden – dies gleichsam eine Sicherheitsvorkehrung, um zu verhindern, dass die Arbeiten ihrerseits ideologisierend wirken können. So ist man ihnen gegenüber eher in der Rolle eines Detektivs oder eines Profilers, sammelt Indizien, folgt Spuren, bildet Hypothesen. Dabei besitzt alles gleichermaßen Relevanz: Ob man ein altes Buch oder ein Motorrad, Found Footage oder vom Künstler selbst gefertigte Fotos vor sich hat, in jedem Fall wird das nicht präsentiert, weil es so schön, so originell oder so geistreich ist, sondern weil es etwas belegen soll: auf etwas verweist, für etwas steht.
Damit lässt sich Jonas Höschls Kunst auch als eine zeitgenössische – und zeitgemäße – Form von Symbolismus charakterisieren, gelten als Symbole doch gerade Objekte, die für etwas stehen. Was sich in ihnen zeigt, weist vor allem auf etwas anderes hin, so bei Jonas Höschl auf eine Terrorgruppe, eine fanatisierte Person, eine ideologische Gedankenfigur. Hat man das aber erst einmal begriffen und ist man den Spuren vom Symbol zum Symbolisierten oft genug gefolgt, dann fängt man vielleicht an, auch sonst – jenseits der Arbeiten von Jonas Höschl – nach derartig Symbolhaftem zu suchen. Mehr und mehr gerät dann unter Ideologieverdacht; unschuldige Dinge gibt es auf einmal kaum noch, allenthalben hat man Gewalt und Aggression zu gewärtigen.
Wolfgang Ullrich, Oktober 2024
Dokusurrealismus – Kommentar zu Jonas Höschls "SSSSSSuzuki"
Wie lässt sich Geschichte begreifen und aufarbeiten, ohne in veralteten oder festgefahrenen Narrativen zu verharren, abseits von Verklärung oder posthumer Instrumentalisierung? Jonas Höschls Arbeit "SSSSSSuzuki" wirft genau diese Frage auf. Die multimediale Installation basiert auf einem Relikt aus den 70er Jahren, das zufällig zu einem Symbol wurde: die Suzuki GS 750. Das Motorrad geriet 1977 in die Schlagzeilen, als zwei Mitglieder der RAF Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine Personenschützer von einem Exemplar eben dieses Modells aus erschoss und als dann zwei Wochen später eine Werbung mit dem Slogan „Sportskanone für Scharfschützen“ veröffentlicht wurde.
Im Zentrum von Höschls Installation steht die Suzuki selbst, deren Präsentation dem Display der RAF-Ausstellung im Haus der Geschichte Stuttgart nachempfunden ist. Auf der Rückseite befindet sich eine Video-Collage aus Bildern von Bauteilen, Bedienungsanleitung, Reparaturhandbuch und dokumentarischen Aufnahmen der Tat, Tatwaffe und des Tatorts. Einige Bilder, insbesondere die der Leichen oder vom Tatort, werden nur Millisekunden eingeblendet und wirken wie ein Versuch, das kollektive Unterbewusstsein zu adressieren. Diese Darstellung ist nicht nur eine Kritik an den Manipulationstechniken der Medien, sondern auch Kennzeichen des Dokusurrealismus, bei dem historische Elemente miteinander konfrontiert werden, um nicht offensichtliche Zusammenhänge anzudeuten.
Jonas Höschl nutzt auch weitere Quellen, wie das Treffen von Sartre und Baader, ein historisches Schreiben des BKA an gefährdete Politiker*innen und den Song "Point Of No Return" von Gene McDaniels – aus der Filmmusik für "Scorpio Rising" (1963), einem wichtigen Experimentalfilm für die Queer-Community –, um unterschiedliche Perspektiven auf die Geschehnisse zu ermöglichen: sowohl Opfer- als auch Täterperspektive, Medienreaktionen und staatliche Sicherheitsbemühungen.
Das Spannende an einem Relikt liegt in seinem zeitlichen Überdauern. In Höschls Installation bekommt die Suzuki einen mahnenden Charakter, nicht zuletzt aufgrund ihrer Aktualität. Das Bild von auf Motorrädern fahrenden Terroristen ist seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 wieder präsent – genauso wie die Rechtfertigung von Terror. Die Installation erinnert zudem daran, dass bedeutende Vertreter*innen der RAF im palästinensischen Jordanien ihre Grundausbildung in Sprengstoffherstellung sowie in Schieß- und Kampftaktik erhielten und weist somit auf die Kontinuität antizionistischer Bestrebungen in der radikalen Linken hin.
Annekathrin Kohout, Februar 2024
"TW: Europe" – Kommentar zu Jonas Höschls Einzelausstellung im EIGEN + ART Lab
Kritische Kunst, schreibt Adorno, muss sich dem kapitalistischen Verwertungs- und „Identitätszwang der Realität“¹ entziehen. Zwar reflektiere Kunst stets ihre Produktionsbedingungen. Explizites Engagement steht für Adorno aber „in gefährlicher Nähe zu Propaganda und erweist sich als implizit einverstanden mit den bestehenden Verhältnissen.“² Für das Feld zeitgenössischer politischer Kunst jedoch sind formalästhetische, inhaltliche und personelle Überschneidungen zwischen Kunst, Aktivismus, Journalismus und Recht symptomatisch. Bildbezogene Investigationen oder Rechercheprojekte implementieren Aspekte des Faktischen sowie der vermeintlichen Authentizität im Ausstellungsraum. Wo aber hört kritische Kunst auf und fängt Engagement an? Und wie lässt sich das eigene Engagement mit der Profession als Künstler*in vereinbaren, wenn beides nicht nahtlos ineinander übergehen soll?
In seiner ersten institutionellen Einzelausstellung TW: Europe nähert sich Jonas Höschl diesen Fragen auf selbst- und medienreflexive Weise. In ihrem Zentrum stehen zwei raumgreifende und multimediale Installationen: Europe is lost (2018) und 09. September 2015, Röszke (2021). Beide Werke kreieren ein assoziatives, bisweilen gewaltvolles Raumgefüge, in dem der Künstler sein subjektives Zerrissen-Sein zwischen Kunst und Aktivismus verhandelt. Europe is lost (2018) setzt sich aus drei im Ausstellungsraum verteilten Werkelementen zusammen: eine großformatige Schwarzweißfotografie, aufgezogen auf einer hölzernen Stellwand; eine Sound- und Videoarbeit auf deren Rückseite; eine im Raum verteilte Serie schwarz gerahmter Holzschnitt. Letztere zeigt Porträts von Menschen, die Höschl in Refugee-Camps kennenlernte. Die Abbildungen knüpfen an eine bild- und medienhistorische Ikonographie erkennungsdienstlicher Fotografie an. Mit ihr verweist der Künstler auf die vielfache Kriminalisierung geflüchteter Menschen, deren öffentliche Wahrnehmung maßgeblich von medialen Darstellungsformen bestimmt wird. Die hölzerne Stellwand zeigt eine großformatige Schwarzweißfotografie. Auf ihr sind die Umrisse zweier Gestalten in einer dichten Nebellandschaft. Das erinnert an die ikonischen Rückenfiguren Caspar David Friedrichs und referieren auf eine Bildtradition deutscher Romantik. Als Szenen einer idealisierten Vergangenheit sind deren mythische Motivfelder bis heute Teil nationalistischer, identitärer und völkischer Geschichtsideologien. Höschl markiert sie als eine Grundlage der gegenwärtigen europäischen Abschottungspolitik. Auf der Rückseite zeigt ein iPhone montiertes Footage stürmender Menschenmengen in Grenzgebieten. Die Akkumulation offensichtlicher bildkultureller Codes schafft eine Überdeterminierung. Mit ihr versucht der Künstler eine (rechts)populistische Bildsprache zu dechiffieren und deren Mechanismen offenzulegen. Diese Kritik an journalistischer Berichterstattung wiederholt sich in der neuesten Arbeit And let my cry (2022): Es ist das Transkript einer (internen) Aufzeichnung des BR, das während des Aufbaus und der Probe zum Gedenkgottesdienst für die Opfer des rassistischen Attentats im Münchner Olympia-Einkaufszentrum 2016 entstand. Obwohl keines der neun Opfer christlich war, fand dieser im katholischen Liebfrauendom in München statt. Das impliziert eine spezifische Ignoranz und Blindheit, die sich in der Berichterstattung über das Attentat und den anschließenden Ermittlungen manifestierte: Falschmeldungen führten zu Panik in der Stadt, und trotz eindeutiger Äußerungen des Täters in Chat-Foren wurde lange auf dessen psychiatrische Behandlung als Motiv für den vermeintlichen Amoklauf verwiesen.
Ähnlich medienreflexiv verfährt Höschl in 09. September 2015, Röszke (2021). Die großflächig angelegte Installation setzt sich aus 10 schwarz-lackierten Stahlaufstellern zusammen. Weitläufige im Ausstellungsraum verteilt, tragen sie Glasplatten, in die transparente Vierfarb-Siebdrucke eingebrannt sind. Es sind die Screenshots einzelner Onlineartikel, aus denen der Künstler Abbildungen hervorgehoben hat. Erneut macht der Künstler mit ihnen die eigene aktivistische Praxis zum Thema: Als Fotograf und Aktivist dokumentierte Höschl im Sommer 2015 die katastrophalen Zustände in einem Camp für Geflüchtete an der EU-Außengrenze zwischen Serbien und Ungarn. Das Bild einer ungarischen Kamerafrau, die fliehenden Menschen während Unruhen ein Bein stellte, ging um die Welt. Höschl stand im Moment der Aufnahme neben ihr. Die Fotografie zeugt von seiner Augenzeugenschaft und behaupten ihre eigene. Unklar bleibt, welche Rolle der Künstler im Moment ihrer Aufnahme spielte. Als linker Aktivist protestierte er gegen die gesamteuropäische Abschottungspolitik, als Fotograf strebt er eine Dokumentation der Ereignisse an. Die ungarische Kamerafrau wurde von einer Beobachterin zur Akteurin und Mittäterin der Sicherheitskräfte. Welchen Einfluss hatte Höschl auf das Geschehen, welchen Impact seine Anwesenheit? Hätte auch er intervenieren können? Kann das fotografische Bild eine ähnliche, repressive oder emanzipatorische Wirkung haben wie die körperliche Intervention?
Es ist eine Stärke seiner künstlerischen Arbeiten, diese Fragen aufzuwerfen, anstatt sie mittels vermeintlicher Faktizität und Authentizität beantworten zu wollen. Darin unterscheiden sich Höschls Werke von einem Engagement, das sich mit den bestehenden Verhältnissen einverstanden erklärt. Der Künstler versucht nicht, eine eindeutige Lesart seiner Installationen und der in ihnen verhandelten medialen Repräsentationen vorzugeben. In der Tradition ästhetischen Eigensinns ermöglicht ihre immanente Bedeutungsoffenheit und Vielschichtigkeit vielmehr die Infragestellung des Gezeigten und damit dessen notwendige Diskursivierung. Ein begleitendes Filmprogramm aus neun unterschiedlichen Positionen verdeutlicht seinen Anspruch, dieses Projekt der Diskursivierung als das eines multiperspektivischen und vielstimmigen Kollektivs zu begreifen. Die beteiligten Künstler*innen stammen aus dem aktivistischen, freundschaftlichen und künstlerischen Umfeld des Künstlers: belit sağ, die Frankfurt Hauptschule, Cana Bilir-Meier, Cihan Cakmak, Tim Erdmann & Christina Gotz (mit einem Musikvideo für Disarstar feat. Nura), Dominik Bais, Laura Leppert, Kalas Liebfried und Anna Baranowski. Auf ganz unterschiedliche Weise verhandelt jede*r von ihnen drängende Themen unserer Gegenwart: Rassismus und Diskriminierung; Populismus und Rechtsextremismus; Restitutions- und Denkmaldebatten; vielschichtige Identitätskonstruktionen und Erinnerungspolitiken; Kollaboration und Solidarität; Trauma und Zärtlichkeit.
Mira Anneli Naß, Januar 2022
¹ Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1973, S: 14.
² Ines Kleesattel: Politische Kunst-Kritik. Zwischen Rancière und Adorno, Wien 2016, S. 142.
Einheit der Vielfalt – Kommentar zu Jonas Höschls „Manfred Weber“
Die Weltenuhr dreht sich, das hat Friedrich Schiller schon im Jahr 1785 begriffen. Und mit ihr dreht sich die Menschheit. Sie windet sich so weit in komplexe soziale Gesellschaftsformen und Denkmuster, sodass wir sie im Jahre 2019 stoppen. In jener Sekunde steht ein deutscher Millennial in einer Wahlurne in Sachsen-Anhalt und macht ein kleines Kreuz auf einem 94 cm langen Papierzettel. Was ist die Konsequenz? Sie heißt lakonisch gesagt Europa und ist eine unbekannte Konstante. Sie symbolisiert sich seit Jahrzehnten in geografischer und wirtschaftlicher Begrenzung, neuerdings in hippen Pullovern und laut Manfred Weber in kostenlosen Zugtickets. Aber es bleiben Fragen, die sich konkret auf ihre Rechtsform beziehen. Wer bildet denn diese sogenannte Europäische Union? Wen schützt sie, wem schadet sie? Wie sieht sie aus? Es wird nach Definition verlangt und diese sei doch am liebsten brüderlich und utopisch pathetisch.
Jonas Höschl, Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, hat sich mit der Fülle um diesen Diskurs befasst. Sein Werk forciert die Motive politischer Suggestion und das Phänomen der Pluralität. Er studiert Bildhauerei, sein Material ist die Masse der Medien. Ausgehend von allen Werbefilmen der 41 Parteien, die im Mai 2019 in Deutschland zur Europawahl antreten, kreiert er ein Sammelsurium politischer Vielfalt. Der knapp fünf Minuten lange Kurzfilm zeigt einen Zusammenschnitt, die Collage wird von musikalischer Untermalung dramatisiert. Europa von Falco tönt in melodischen Männerstimmen mit der Bilderflut hinfort. Die an bayerische Blasmusik angelehnte Vertonung, welche Jonas Höschl von Philipp Lohmeier, Max Blechschmidt und Simon Kränkl umsetzen lies, befreit das Lied vom Text und rezipiert lediglich die Hauptfigur der Wahlkabinenfrage: der Refrain „Europa“ folgt einem heiter fröhlichem „Nana-na“.
Das Werk erscheint dem Publikum als Apparat diverser Perspektiven und das reizt. Bilder von anfangs lachenden Menschen werden von aggressiven Aufnahmen von Polizeigewalt unterbrochen, die pointiert die Mitte des Filmes bilden. Es wird sofort deutlich, wie schematisch die Methoden der Werbeagenturen sind und Zuschauende wissen dank digitaler Intuition („Medienkompetenz“) bei dem Großteil der Filmausschnitte, welcher Partei sie zuzuordnen sind - oder etwa nicht? Hier greift die Kraft des Werkes. Die emotionalisierende Bilderfluten, die meist langsam, verzögert oder nostalgisch daherkommen, zeigen primär Aufnahmen von sinnlichen Gesichtern, glücklichen Industriearbeiten und friedlich Küssenden. Sekundär sind manipulative Schockbilder eingebaut, wir vermuten rechte Hand. Dadurch, dass Höschl jedes zuvor bewusst erschaffene Politbild zumindest einmal visuell erwähnt, ist das Werk lückenlos und täuscht eine Objektivität vor. Doch diese vermeintliche Objektivität bricht bei präzisem Hinschauen. Die Bildsprache,
Motivwahl und Komposition ist bei allen Parteien verblüffend einheitlich, aber dabei wissen wir doch, dass der Inhalt stark verschieden und perspektivisch verzerrt ist. Insbesondere das Ende ist intensiv: Jedes Logo der Partei erscheint einen Bruchteil von Sekunden und verabschiedet die kurze aber schwärmerische Wahlfahrt. Erschütternd stellen wir fest, dass ein Werbefilm der DKP der gleichen Sequenz-Ordnung folgt wie der einer rechtspopulistischen AfD.
Jonas Höschl wählt Filmausschnitte mit Vision, nicht jedoch eine radikale politische Position. Während Höschl 2018 in seinem Werk „Europe is lost“ proklamiert, tritt er in seinem Kurzfilm aus der isolierten Haltung in eine unbeschränkte Darbietung. Der Künstler, der parallel Bildenden Kunst/Bildhauerei in München und Grafikdesign/Visuelle Kommunikation in Nürnberg studiert, drückt sich künstlerisch aus, indem er reale Verhältnisse abdruckt. Nutzt er sonst Papier und Fotografie, entzieht er in seinem Kurzfilm realen Originalbildern die Absicht, indem er die bereits verzerrten und gerahmten Aussagen entzerrt. Er klappt die Anleitung Werbefilm auf und erlaubt uns einen kritischen Blick. Ursprünglich wurden die Werbespots in Auftrag gegeben um politische Botschaften/Standpunkte an eine bestimmte Zielgruppe zu richten. Sie sollten illustrieren, motivieren, radikalisieren. Jetzt werden sie zu einem Tableau der Mischpoche, das vor allem unsere gespaltene Sehgewohnheit dokumentiert. Zu oft blenden wir die Bildnarrative Andersgesinnter aus - es fällt leicht in der digitalen selbstgewählten Blase. Dabei sollten wir unseren Blick auf Künstler wie Jonas Höschl werfen, der die fern voneinander liegenden Bildwelten zusammenbringt und uns an ihren Ursprung erinnert. Wir wollen wie schon Falco „die Dame Europa hier her“. Sie ist mehr als Politik, sie ist eben auch bewegtes und geteiltes Bild. Dort vervielfältigt und abstrahiert sie sich.
In postmoderner Manier zeigt uns Jonas Höschl, was wir ohnehin schon wissen: „In Vielfalt geeint“ ist kein Oxymoron, es ist ein Pleonasmus. Die Geschwisterlichkeit verstärkt sich durch ihre gemeinsame Existenz, denn Individualität wäre ohne gemeinsame Konformität nicht existent. „Manfred Weber“ als Persona hat die Wahl zum Kommissionspräsidenten verloren, mit Höschls Werk haben wir ein Stück europäische Artikulation dazugewonnen.
„Sphären rollt sie in den Räumen, die des Sehers Rohr nicht kennt!“, betitelt Friedrich Schiller den Nutzen der Weltenuhr. Der ratlose Millennial in Sachsen-Anhalt setzt sein Kreuz, er weiß nicht für welche Sphäre er es tut, er weiß aber für welchen Raum: es ist Europa. Als Empfehlung für die Zukunft geben wir ihm Höschls Collage mit. Sie ist ein Mitbringsel der Millenniumserklärung - sie ist konkret, relevant und schärft den Blick.
Maja Klimt, Juli 2019